Presse: Wirtschaftliche Interessen wichtiger als Naturschutz

Regierungspräsidium Gießen erteilt Genehmigung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung

-von Burkhard Westerweg-

ELZ. Die kommerziellen Interessen des Investors höher bewertet als den Mindestabstand zur bebauten Ortslage, trotz Rotmilan und Kranichzug keine Umweltverträglichkeitsprüfung, den sofortigen Vollzug angeordnet, um den Betreiber vor Verzögerungen und finanziellen Schäden durch Klagen zu bewahren. Der Bewilligungsbescheid für den Windpark am Elzer Berg wirft ein bezeichnendes Licht auf die Genehmigungspraxis des Gießener Regierungspräsidiums (RP).

„Wenn man das Gesamtpaket sieht, hätten die Dinger nicht gebaut werden dürfen“, verweist Hambachs Ortsbürgermeister Peter Sehr auf Abstände, Lärmimmission, Landschaftsbild, Kulturdenkmäler, Nähe zum Lahntal, Fauna und Wälder.

Am 6. August 2014 hatte die Abteilung Umwelt des RP Gießen dem Antrag vom Juli 2013 stattgegeben und der Enertrag Windfeld Elzer Berg GmbH & Co. KG aus Schenkenberg den Bau und Betrieb von sechs Windkraftanlagen vom Typ Nordex N 117 nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz für 29 Jahre genehmigt. Gesamthöhe 199 Meter, Leistung 2,4 Megawatt.

Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet, 30 000 Quadratmeter Wald durften gerodet werden, davon 20 000 Quadratmeter dauerhaft. Hinterlegt werden musste eine unbefristete Sicherheit in Höhe von 843 600 € (140 600 € je Anlage). Für die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes war ein Ersatzgeld von 40 124,39 € zu zahlen, die gerodeten Waldflächen mussten mit einer Walderhaltungsabgabe in Höhe von 22 191,40 € ausgeglichen werden. Die Nutz-, Schutz-, Klimaschutz- und Erholungsfunktion gingen „dauerhaft verloren“.

Der Rhein-Lahn-Kreis, die Verbandsgemeinde Diez und die Gemeinde Hambach wurden – anders als vom Elzer Ortsbürgermeister Horst Kaiser und Planer Klaus Müller dargestellt – am Genehmigungsverfahren nicht beteiligt. Der Westerwaldkreis durfte hinsichtlich der immissionsschutz- und naturschutzrechtlichen Belange Stellung nehmen, die Verbandsgemeinde Montabaur wurde informiert.

Keine Auswirkungen auf Flora und Fauna
Nach Prüfung der vom Antragsteller vorgelegten Gutachten und Beteiligung der betroffenen Fachbehörden (meist im Haus) war die Umwelt-Abteilung des Regierungspräsidiums zu dem Ergebnis gekommen, „dass durch das Vorhaben der Enertrag Windfeld Elzer Berg keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf Schutzgüter zu erwarten sind“. Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung wurde daher „nicht für notwendig erachtet“. Gemäß der Stellungnahmen der Oberen Landesplanungsbehörde bestanden gemäß des Regionalplans Mittelhessen einschließlich des zugehörigen Umweltberichts als Grundlage der Beurteilung „aus raumordnerischer und regionalplanerischer Sicht insgesamt keine Bedenken gegen das Vorhaben“.

Der Planansatz gibt vor, dass ein Vorranggebiet für Forstwirtschaft zur Sicherung der Waldfunktionen dauerhaft bewaldet bleiben muss und raumbedeutsame Eingriffe ab fünf Hektar Fläche zu unterlassen sind. Bei etwa zwei Hektar dauerhafte Rodungsfläche bestanden aus regionalplanerischer Sicht keine Bedenken gegen sechs Windräder. Der eingehaltene Abstand von mindestens 500 Metern zum Vorranggebiet für Natur und Landschaft nordwestlich des Projektgebiets galt aus raumordnerischer Sicht als ausreichend, Bedenken gegen eine Beeinträchtigung des benachbarten FFH-Gebietes wurden nicht erhoben. Auch als Vorbehaltsgebiet für besondere Klimafunktionen stand der Elzer Berg der geplanten Windkraft-Nutzung nicht entgegen. Die Obere Naturschutzbehörde erwartete keine erheblichen Beeinträchtigungen und sah eine Verträglichkeitsprüfung als nicht notwendig an. Der landesplanerisch eingeforderte Mindestabstand zu Bundesautobahn und ICE-Strecke (vier Windräder liegen dazwischen) entspricht den Vorschriften, der Abstand zu den Siedlungsflächen wird aber ausschließlich von den WEA-Standorten 3 bis 6 eingehalten. Die Windräder 1 und 2 liegen innerhalb des Mindestabstands zu den angrenzenden Ortslagen jenseits der Landesgrenze in Rheinland-Pfalz. Dazu heißt es im Bewilligungsbescheid: „Unter Berücksichtigung abwägungserheblicher Aspekte (vom Antragsteller vorgetragen) kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass ihr Interesse an der Nutzung der Fläche als Standort für die Windenergieanlagen E 1 und E 2 schwerer wiegt als die Verfestigung des in Aufstellung befindlichen Zieles des Teilregionalplanes Energie Mittelhessen.“

Das heißt: Die zweite Änderungsverordnung schreibt als Ziel die Einhaltung eines Mindestabstands zu bestehenden / geplanten Siedlungsgebieten von 1000 Meter und zu bestehenden / geplanten Autobahnen sowie überwiegend dem Fernverkehr dienenden Schienenwegen von 150 Meter vor.

Obwohl die Rechtsprechung im Sinne eines Rücksichtnahmegebots nachteilige Auswirkungen als öffentlichen Belang anerkennt und dabei auf Belastungen psychischer Art – wie die erdrückende oder erschlagende Wirkung von Gebäuden auf Nachbargrundstücke – verweist, liegt für den RP keine optisch bedrängende Wirkung durch die Windkraftanlagen vor. Die Abstände zur bestehenden Wohnbebauung betragen bei allen Anlagen mehr als das Dreifache der Anlagengesamthöhe, verweist die Behörde auf höchstrichterliche Entscheidungen, nach der in der Regel nicht von einer optischen Bedrängung auszugehen ist.

Wirtschaftliche Interessen schützen
Mit dem Hinweis, dass die Prüfung des Antrags durch die Genehmigungsbehörde und die eingeholten Stellungnahmen keine Beeinträchtigungen durch die betreffenden Anlagen ergeben haben, leitet der RP zum besonderen Interesse an einer sofortigen Vollziehung und zeitnahen Errichtung der Anlagen über.

„Eine Verzögerung der Vollziehung – insbesondere durch mögliche Rechtsbehelfe Dritter – wäre mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden. Durch die aufschiebende Wirkung einer Klage besteht die Gefahr, dass die Inbetriebnahme des Windparks auf unbestimmte Zeit nicht erfolgen kann. Verzögerungen bei der Inbetriebnahme können zu finanziellen Nachteilen aufgrund verminderter Einspeisevergütungen führen. Durch eine solche verspätete Inbetriebnahme würde ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen zumindest gefährdet. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass das Vollzugsinteresse der Antragstellerin die möglichen Suspensivinteressen potentieller Kläger überwiegt und zudem ein öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides besteht“, so das Regierungspräsidium. Nach dem ersten vollen Betriebsjahr aber nicht besonders guten Windjahr lag nach Angaben von Ortsbürgermeister Horst Kaiser die Ausbeute bei (defizitären) 82,5 % der erwarteten Strommenge.

Quelle: Lokalanzeiger

Kommentare sind geschlossen.