Presse: Was geht seit Jahren in Altendiez vor?

Familienangehörige von Ratsmitgliedern unterzeichnen Nutzungsvereinbarungen für Windkraftanlagen

ALTENDIEZ. 7. März 2017: Ratssitzung. Vor etwa 15 Mitgliedern der Bürgerinitiative spricht Werner Spitz Lahn-Post-Mitarbeiter Burkhard Westerweg direkt an: Er solle die Berichterstattung über Windkraft einstellen, fordert der CDU-Ratsherr den Journalisten auf. „Sie sind befangen“, überliefern Zuhörer die Vorwürfe aus der Sitzung. Befangenheit, die könnte zu einem speziellen Problem werden – für Altendiezer Gemeinderäte.

Was zu diesem Zeitpunkt alle wissen, aber nicht weiter angesprochen wird: Spitz-Tochter Nicole Fürstenfelder ist längst tätig geworden. Sie hat den unbequemen Journalisten angezeigt. Vorwurf: Nachstellung. Die damals 37-Jährige, der im weiteren Verfahren Annäherungsversuche unterstellt werden, äußert vor Polizei und im Gericht Angst um sich und ihre beiden Kinder vor Übergriffen.

Im Amtsgericht erlässt Richterin Windirsch eine Einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz und stellt deren Vollstreckung scharf. Bei Verstößen gegen die Auflagen drohen dem Journalisten Geldstrafen bis 250 000 € oder bis zu einem Jahr Haft. In einer vom Beschuldigten beantragten mündlichen Verhandlung bestätigen sich vor der Familienrichterin am 10. Januar 2017 die Vorwürfe nicht. Die Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen umgehend ein.

Erledigt hat sich der Vorgang damit nicht. In der CDU Fraktion des Altendiezer Gemeinderates werden die Vorwürfe, die als vielsagende Andeutungen in die Öffentlichkeit getragen werden, zum Anlass genommen, den störenden Journalisten möglichst aus der kritischen Ratsberichterstattung – vor allem zum Thema Windkraft – zu verabschieden. Ortsbürgermeister Thomas Kessler bestätigt dem Lahn-Post-Mitarbeiter im Februar in einer Sprechstunde auf Anfrage: Würde er Anfang März im Rathaus erscheinen, gäbe es Tumult. Der Journalist, der auch für andere Medien arbeitet, schreibt laut vorliegender Mail am 19. Februar 2017 unter anderem an den stellvertretenden Altendiezer Ortsbürgermeister Horst Kreutzlücken: „Mir liegen Hinweise auf eine mögliche Beeinträchtigung meiner Ratsberichterstattung vor, die umgehend auf dem Rechtsweg zu beantworten wäre.“ Kreutzlücken reagiert nicht, doch die Sitzung verläuft störungsfrei. Schon im Antrag auf mündliche Verhandlung – die Gerichtsakte liegt der Lahn-Post in Kopie vor – hatte der Journalist im Dezember 2016 an das Amtsgericht geschrieben: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gründe für die Eskalation auf einer anderen Ebene zu suchen sind. Herr Werner Spitz gehört als Mitglied des Gemeinderates Altendiez zu energischen Befürwortern, die durch meine öffentliche Darstellung und den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung heftigen Reaktionen ausgesetzt sind. Familie Spitz könnte zudem von Anfeindungen durch eine in der Öffentlichkeit vermutete Beteiligung an einer Grundstücksangelegenheit betroffen sein.“

Die Hintergründe
Eine Vermutung? Am 15. März – rund zwei Wochen vor der Abgabefrist des Bauantrags bei der Kreisverwaltung – unterschreibt Spitz-Sohn Steffen eine Nutzungsvereinbarung mit der Trianel Windpark Altendiez GmbH & Co.KG. In dem am 19. März von Markus Hakes gegengezeichneten Papier geht es um ein Grundstück am Waldrand in Altendiez, das für die Errichtung eines Abspannmastes und einer überspannenden Freileitung in mindestens sechs Metern Höhe dauerhaft genutzt werden soll. In einer bereits am 11. März unterzeichneten Vereinbarung gewährt Steffen Spitz – so geht es aus vorliegenden Unterlagen hervor – die vorübergehende Nutzung eines 2000 Quadratmeter großen Grundstücks in Heistenbach samt der durchquerenden Wege. Um den Windpark mit Trafostation, Verkabelung, Zuwegungen und Umspannwerk errichten zu können, soll die Fläche als Lagerplatz genutzt werden.

Juristen gehen davon aus, dass die Kommunalaufsicht prüfen wird, ob in den vergangenen Jahren im Altendiezer Gemeinderat bei Abstimmungen über Windkraft (und anderen) Gemeindeordnung und Grundsätze zum Thema Befangenheit ausreichend beachtet wurden – und Beschlüsse gültig sind.
Als der Rat in seiner nichtöffentlichen Sitzung am 19. April 2016 einstimmig das Einvernehmen zum Bau des Windparks Altendiez herstellt, ist Werner Spitz anwesend und – im Protokoll ist nichts anderes vermerkt – an der Abstimmung beteiligt. Das könnte als (direkte) Vorteilsnahme ausgelegt werden, sobald Familienmitglieder ersten Grades an Grundstücksangelegenheiten mitwirken.

Interessenkonflikt
In Altendiez tritt in diesem Zusammenhang ein weiteres Ratsmitglied in Erscheinung: Anja Hirschberger. Nach vorliegenden Unterlagen unterzeichnen die Eltern der CDU-Ratsfrau, Heinz und Ursula Schmidt, bereits am 30. Juni 2016 eine Nutzungsvereinbarung mit der Nidag Wind Fünfte GmbH (Vorläuferin der Windpark Altendiez GmbH) für zwei Grundstücke auf Heistenbacher Gemarkung. Auf den Flächen soll vorübergehend eine geschotterte Zuwegung zu den Standorten von maximal sechs Meter Breite zuzüglich Kurvenradien angelegt werden.

Ortsbürgermeister Thomas Kessler (CDU) gehört Grundbesitz in unmittelbarer Nachbarschaft zu Steffen Spitz. Auch der Ratsvorsitzende ist an Abstimmungen beteiligt – und unterschreibt bereits am 28. Januar 2016 (zweieinhalb Monate vor dem Einvernehmen des Gemeinderates) eine noch nicht endverhandelte Einverständnis-Erklärung mit der Nidag als Basis für einen Gestattungsvertrag über fünf Flurstücke.

Die Reihe der Irritationen setzt der Altendiezer Gemeinderat Ende Juli fort. In der Stellungnahme „aus planungsrechtlicher Sicht“ übermittelt die Ortsgemeinde der Kreisverwaltung als Genehmigungsbehörde zum Vollzug des Bundesimmissionsschutzgesetzes für die Errichtung und den Betrieb von sechs Windenergieanlagen diesen Standpunkt: „Der Ortsgemeinderat hat in seiner Sitzung vom 19. April 2016 die Erteilung des Einvernehmens zum Bauvorhaben einstimmig beschlossen. In der Beschlussvorlage der Verbandsgemeinde war zu entnehmen, dass aus planungsrechtlicher Sicht seitens der Verbandsgemeinde keine Bedenken gegen das geplante Vorhaben bestehen.“

Was im Namen des Rates, dem Landesbedienstete und Gewerbetreibende angehören, so elegant wie unglaublich unlauter umschrieben wird: Die Beschlussvorlage der VG entsprang nichtöffentlichen Vorbereitungen zur Fortschreibung des Flächennutzungsplanes im Teilbereich Windkraft, sie stammt vom 18. März 2016 und ist längst überholt. Nachdem die untere Naturschutzbehörde (Landkreis) der Verbandsgemeinde noch im gleichen Jahr aus naturschutzrechtlicher Sicht von einer Ausweisung der Vorrangflächen abrät und die übergeordnete Behörde (Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord) den Standpunkt bestätigt, stellt der Verbandsgemeinderat die Planungen noch im Dezember mit einem einstimmigen Beschluss ein. Kurios: Ratsmitglieder aus Altendiez (Konrad Schuler, CDU; Lutz Henschel, SPD) stimmen dem zu; Thomas Kessler ist nicht anwesend.

Während sich Altendiezer Ratsmitglieder, die sich öffentlich beim Vorhaben im Staatsforst gern als „nicht zuständig“ bezeichnen, offenbar keinerlei verantwortungsvolle Gedanken über Windräder im Trinkwasserreservoir der Verbandsgemeinde machen, läuten in der VG (Verwaltung und Wasserwerke) die Alarmglocken. Bereits jetzt gebe es bei Starkregen Eintrübungen des Trinkwassers, was für die nicht ausreichende Filterwirkung der Deckschichten spreche, heißt es dort. Die ablehnende Haltung der VG gegen die Windräder – und dies gegen jeden einzelnen Standort – sei dem Landkreis mitgeteilt worden.

Quelle: Lokalanzeiger

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